Wählen – wirklich wichtig?

In den letzten Wochen finde ich mich in kaum einer Gesprächsrunde wieder, in der nicht kurz über die anstehenden Wahlen gesprochen wird. Die Pandemie und deren Umgang seitens der Politik hat bei viele Menschen zu Unverständnis und Missmut geführt. Allgemeine Mood: „Mütend“.

Als Hilfsmittel wird mit Augenzwinkern empfohlen, bei der nächsten Wahl das „richtige“ Kreuz zu setzen. Damit sich was ändert.

Doch wie sehr beeinflusst meine Stimme die kommende Wählen? Lohnt sich der Gang zur Wahlurne bzw. das Ausfüllen des Wahlscheins überhaupt? Auf jeden Fall!


„Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus“, besagt der zwanzigste Artikel unseres Grundgesetzes. Innerhalb unserer Demokratie versichert uns dieser Artikel das Recht auf eine allgemeine, unmittelbare, freie, gleiche und geheime Wahl. Hierbei wird die politische Macht in regelmäßigen Abständen neu verteilt und die Bürger:innen können direkt in der Demokratie antizipieren.

Entscheidend ist das Verb können, da innerhalb unseres Rechtssystems auch das Recht auf Nichtbeteiligung besteht. In Sachsen-Anhalt haben in den letzten Jahren besonders junge Menschen (21-25 Jahre) davon Gebrauch gemacht, sodass sich laut einer Studie nach der vergangenen Bundestagswahl 2017 junge Sachsen-Anhalter:innen am wenigsten an der Wahl beteiligten.

Dies wird gestützt von den Ergebnissen der letzten Landtagswahl im März 2016, bei der nur 37 Prozent der 21-25 Jährigen ein Kreuz auf dem Wahlzettel setzten.

In einem MDR-Interview gibt die Politikwissenschaftlerin Kerstin Völkl drei Gründe für Nichtbeteiligung an:

Die einen sagen, sie können nicht. Die anderen wollen nicht und die anderen sagen, sie wurden nicht gefragt.

Demzufolge mangelt es Personen an Ressourcen, die sich förderlich auf die Wahlbeteiligung auswirken, womit in erster Linie das Bildungsniveau gemeint sei.

Der 2018 erschienene Bildungsbericht besagt, dass sich Menschen mit höherem Bildungsabschluss mehr an der Politik in Deutschland beteiligt. Das heißt, jemand mit Uniabschluss geht also mit höherer Wahrscheinlichkeit wählen oder schließt sich einer Partei an. Dies ist allerdings ein Phänomen, was auch in anderen westeuropäischen Ländern zu finden sei. Das reine Können gebe aber nicht den Hauptausschlag, sondern das Wollen. Viele wollen nicht wählen, weil sie entweder nicht politisch interessiert sind oder sich nicht genug informiert fühlen.

Eine Umfrage aus dem April 2021 ergibt, dass die Spitzenkandidat:innen der Parteien, mit Ausnahme der CDU, 70 Prozent der Bürger:innen unbekannt sind.

Zu Menschen, die behaupten nicht gefragt worden zu sein, sagt Völkl:

Man [sollte] auch in ein Netzwerk eingebunden sein […], dass mobilisierend wirkt. Wenn ich
von lauter Freunden umgeben bin, die sowieso sagen: 'Ach, alles Mist, muss ich nicht machen',
dann wirkt sich das nicht förderlich auf die Wahlbeteiligung aus.

Sie stellt allerdings auch fest, dass sich die Unterstützung populistischer und radikal ideologischer Positionen positiv auf die Wahlbeteiligung auswirkt, weshalb es der AfD zur Landtagswahl gelang, viele Nicht-Wähler:innen zu mobilisieren und in Sachsen-Anhalt so mit 24,3 Prozent ihr bundesweit bestes Ergebnis erzielen konnten.

Wählen kann also auch vor Extremismus schützen.

Wer nicht wählt, erleichtert es extremistischen Strömungen, einen größeren Einfluss auf die Gesellschaft und die Politik zu bekommen. Mit meiner Stimme nehme ich Einfluss auf die Politik. Die Politik wiederum nimmt Einfluss auf wesentliche Fragen des Alltags. So kann ich alleine schon durch meine Stimmabgabe die Politik aktiv beeinflussen und bewusst nicht-extremistische Parteien verhindern (?).

Nicht-Wählen aus Protest, um einer anderen Partei einen Denkzettel zu verpassen, funktioniert auch nicht.

Die Stimme verfällt einfach. Wähle ich hingegen, kann ich eine Partei klar der anderen vorziehen. Auch wenn es keine Wahlpflicht gibt, tragen die Bürger:innen einer Gesellschaft eine gewisse Verantwortung. Die Politik entscheidet heute, doch besonders junge Menschen werden sich mit aktuellen Entscheidungen noch länger auseinander setzen müssen. Wer heute verzichtet zu wählen, verzichtet auch darauf, die eigene Zukunft mitzugestalten.

Einfach zu behaupten, dass meine Stimme nichts ändern würde, ist also zu einfach gedacht.

Auch hier ist das Prinzip kein anderes, als bei sozialen/klimaaktivistischen Bewegungen: Einzelne Handlungen retten unsere Welt nicht, aber sobald sich viele kleine Leute versammeln und viele kleine Taten umsetzen, können sie gemeinsam Großes verändern. Was klingt wie ein kitschiger Kalenderspruch, ist gar nicht so weit hergeholt. Deine Stimme zählt!

Quellen

https://www.mdr.de/nachrichten/sachsen-anhalt/landtagswahl/interview-zur-wahlbeteiligung-in-sachsen-anhalt100.html

https://www.bundestagswahl-bw.de/warum-waehlen

https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1096091/umfrage/bevoelkerung-in-sachsen-anhalt-nach-altersgruppen/

https://www.mdr.de/nachrichten/sachsen-anhalt/landtagswahl/interview-zur-wahlbeteiligung-in-sachsen-anhalt100.html

https://www.bundestag.de/parlament/aufgaben/rechtsgrundlagen/grundgesetz/gg_02-245124

https://www.dw.com/de/wer-wählt-ist-schlau-wie-das-bildungsniveau-die-wahlbeteiligung-beeinflusst/a-44353361

https://www.bildungsbericht.de/de

https://www.tagesschau.de/wahl/archiv/2016-03-13-LT-DE-ST/