Es gibt eine kleine, präsente, rechtsextremistische Gruppe, die sehr laut ist. Aber für mich ist vor allem wichtig, dass es auch eine andere, sehr viel größere Gruppe gibt, von der ich viel Zuspruch erhalte.
Ein Interview mit dem Politiker Dr. Karamba Diaby
Dr. Karamba Diaby wurde 1961 in Marassoum, Senegal, geboren. 1985 erhielt er ein Stipendium, dass es ihm ermöglichte, in der damaligen DDR Chemie zu studieren und später auf dem Gebiet der Geoökologie zu promovieren. Schon früh war er in gemeinnützigen Organisationen im Bereich Bildung, Jugendpolitik, Vielfalt und Menschenrechte aktiv. Von 2011 bis 2013 agierte Diaby als Referent im Ministerium für Arbeit und Soziales des Landes Sachsen-Anhalt und war daraufhin von 2009 bis 2015 als Stadtrat in Halle (Saale) engagiert. 2013 zog er als erste in Afrika geborene Schwarze Person in den Deutschen Bundestag ein. Dort gehört er seitdem zum linken Parteiflügel der SPD-Bundestagsfraktion. 2021 kandidiert er erneut als Bundestagsabgeordneter für die Gebiete Halle (Saale), Kabelsketal, Landsberg und Petersberg.
Clara Hoheisel hat ihn für die Jugendredaktion Mach'n Punkt zu einem Interview in der SPD-Regionalgeschäftsstelle in Halle (Saale) getroffen.
Ein Gespräch über politische Diversität, Rassismus und die anstehende Bundestagswahl.
Hoheisel: Am 26. September 2021 entscheiden die rund 60 Millionen Wahlberechtigten in Deutschland über einen neuen Bundestag. Sie, Herr Dr. Diaby, stellen sich dabei zur Wahl. In diesem Rahmen werben Sie neben den Themen gute Bildung, gute Arbeit, guter Zusammenhalt auch mit dem Stichpunkt Umwelt. Was hat Ihr Bekenntnis als Kleingartenfreund damit zu tun?
Diaby: Zuerst muss ich sagen, dass die Bundestagswahl unter dem Vorzeichen von Corona steht und es große Defizite bei den Vorbereitungen gibt. Der Bereich Bildung steht bei meinem politischen Schaffen im Mittelpunkt. Zudem sind mir die Themen Nachhaltigkeit und Zukunft unserer Erde unheimlich wichtig. Ich setze mich auch persönlich dafür ein. Ich bin ein Gärtner und genieße es, in meiner „grünen Idylle“ zu entspannen und dort Pflanzen anzubauen. Außerdem trägt das Grün in der Stadt zu einer sauberen Luft bei. Unsere Natur gehört geschützt und jede:r kann einen kleinen Beitrag dazu leisten.
Ist Ihr Lieblingsort in Halle demzufolge ein Kleingarten?
Ja, das ist einer meiner Lieblingsorte neben dem Saaleufer, wo ich oft mit dem Fahrrad unterwegs bin. Aber ich muss zugeben, dass der Ort, an dem ich am besten abschalten kann, tatsächlich mein Kleingarten ist. Ohne Handy oder andere technische Geräte. Außerdem koche ich sehr gerne zum Runterkommen - am liebsten gesund, mit selbstgewählten Produkten, bei denen man weiß, woher sie kommen und wie sie angebaut werden.
Seit 1986 nennen Sie Halle (Saale) Ihren Lebensmittelpunkt: Ein Stipendium ermöglichte Ihnen ein Chemiestudium an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. An welchem Ort in der Stadt hätte man Sie damals am wahrscheinlichsten angetroffen, einmal abgesehen von Bibliothek und Hörsaal?
Zu 90 prozentiger Wahrscheinlichkeit hätte man mich am Weinbergcampus getroffen. Dort habe ich studiert und gewohnt und dort war auch unser Studentenclub für die Chemiker:innen, Biolog:innenund Pharmazeut:innen. Damals hatte jedes Institut seinen eigenen Club. Als Student besaß man wenig Geld, konnte sich kein Auto leisten und ist eh nicht weit weg gefahren. Am liebsten bin ich im Amselgrund an der Saale spazieren gegangen und habe einfach die Natur genossen.
Mein täglicher Weg erstreckt sich vom Reileck bis zur Vogelweide. Als mein Sohn noch klein war, hat es ihn immer genervt, wenn wir zusammen unterwegs waren.
Inzwischen sind Sie in Halle zu einer kleinen Berühmtheit geworden. Können Sie sich mit Ihrer Familie noch inkognito durch die Stadt bewegen? Oder werden Sie überall als Herr Karamba Diaby erkannt?
Doch, doch, ich werde erkannt. Und das ist auch gut so (lacht). In Halle bin ich meistens zu Fuß, mit dem Fahrrad oder der Straßenbahn unterwegs. Mein täglicher Weg erstreckt sich vom Reileck bis zur Vogelweide. Als mein Sohn noch klein war, hat es ihn immer genervt, wenn wir zusammen unterwegs waren. Wenn wir zur Peißnitz gelaufen sind, ging es noch, denn dann haben wir vor allem Familien getroffen und er konnte mit den Kindern spielen. Haben wir uns allerdings Richtung Stadtmitte bewegt, war das etwas schwieriger. Dann hat er sich immer beschwert mit: „Papa, müssen sie denn alle mit dir quatschen?“ (lacht). Ich habe ihm nur geantwortet: „Freu dich doch, wenn alle freundlich mit mir sprechen!“
Als Kind hat man es manchmal wirklich schwer (lacht).
Mein Sohn ist heute fast 19 Jahre alt und er mag es gar nicht, wenn ich ihn darauf anspreche.
Nach den Berichten zahlreicher Extremismusbeobachter:innen ist Sachsen-Anhalt und ganz besonders die Stadt Halle (Saale) eine Hochburg rechtsextremistisch motivierter Kriminalität. Gibt es Situationen, in denen Sie sich hier unwohl fühlen? Haben Sie manchmal sogar richtig Angst?
Einerseits kann ich diesen Berichten natürlich nicht widersprechen. Andererseits muss man sich klar machen, dass es in jeder Stadt solche Menschen gibt. Das ist kein Problem von Halle, kein Problem von Sachsen-Anhalt oder Ostdeutschland. Das ist ein gesamtgesellschaftliches Problem. Es ich wichtiger zu schauen, was man dagegen tun kann. Ich hatte in Halle niemals Angst und fühle mich mit meiner Familie sehr wohl hier. Gerade durch die Universität ist Halle eine internationale Stadt und wird dadurch belebt. Klar, es gibt eine kleine, präsente, rechtsextremistische Gruppe, die sehr laut ist. Aber für mich ist vor allem wichtig, dass es auch eine andere, sehr viel größere Gruppe gibt, von der ich viel Zuspruch erhalte.
Dennoch sind Sie von rechtsextremistischen Taten nicht verschont geblieben: Im Januar 2020 wurde mit einer Softair-Waffe auf Ihr Wahlkreisbüro in Halle (Saale) geschossen und Sie erhielten eine E-Mail mit Morddrohungen. Wie geht es Ihnen heute, wenn Sie daran zurück denken?
Wenn ich daran zurückdenke, erinnere ich mich vor allem an die Welle der Solidarität, die auf die Taten folgte. Ich habe so viel Zuspruch von allen Seiten erhalten. Briefe, Mails und Nachrichten über Social Media; Hallenser:innen, die persönlich vorbeigekommen sind. Rosen wurden in die Einschusslöcher gesteckt und Schulklassen haben Unterschriften gesammelt. Das war so eine große Resonanz. Auch wenn die Polizei die Motive bis heute nicht kennt und die Ermittlungen immer noch laufen, hat es mir gezeigt, dass ein Großteil der Menschen hinter mir und meiner Arbeit steht.
In der 19. Legislaturperiode des deutschen Bundestags setzten Sie sich vor allem im Bereich Migration und Integration, schwerpunktmäßig für die Themen Integration, Asylpolitik und Einwanderungsgesetz ein. Außerdem sind Sie seit 2018 Integrationsbeauftragter der SPD-Fraktion. Warum liegen Ihnen diese Themen besonders am Herzen?
Der erste Grund ist wahrscheinlich der naheliegendste: Ich selbst wurde nicht in Deutschland geboren. So kann ich die Punkte glaubwürdiger behandeln. Ich möchte die Menschen für das Thema Rassismus in Deutschland sensibilisieren und mich gerade für diese Minderheiten stark machen, da sie es schwer haben, gehört zu werden.
Diversität ist unglaublich wichtig, da jede Person eine andere, wichtige Sichtweise auf politische Entscheidungen mitbringt.
Der Landtag in Sachsen-Anhalt besteht seit dem 13. März 2016 aus 87 Abgeordneten, davon sind 19 Frauen. Alle der 87 Mandatsträger:innen kamen in Deutschland zur Welt [Anm. d. Red.: Hans-Thomas Tillschneider (AfD) kam als Rumäniendeutscher in Timișoara, im westlichen Rumänien zur Welt. Er bezeichnet sich selbst als „Angehöriger der volksdeutschen Minderheit“]. Sie selbst waren 2013 die erste in Afrika geborene Schwarze Person, die in den Deutschen Bundestag einzog. Menschen mit Migrationshintergrund oder Fluchterfahrung und People of Color sind demzufolge sowohl im Land- als auch im Bundestag unterrepräsentiert. Für wie wichtig halten Sie die Diversität politischer Vertreter:innen?
Für sehr wichtig. Fast ein Viertel der Bevölkerung in Deutschland hat eine Migrationsgeschichte. In der aktuellen Wahlperiode haben allerdings nur 8 Prozent unserer politischen Vertreter:innen einen Migrationshintergrund. Ein ähnliches Phänomen sehen wir übrigens in den Schulen. Jede:r kann sich mal fragen, wie viele verschiedene Nationalitäten in den Schulklassen und im Vergleich dazu bei den Lehrer:innen auftreten. Diese Diversität in der Politik, die Sie in Ihrer Frage ansprechen, betrifft das Geschlecht, das Geburtsland, aber genauso die unterschiedlichen Generationen. Diversität ist unglaublich wichtig, da jede Person eine andere, wichtige Sichtweise auf politische Entscheidungen mitbringt. Ich selbst spreche beispielsweise als Kleingartenfreund, als Familienvater und als die erste in Afrika geborene Schwarze Person, die in den Deutschen Bundestag einzog. Wir in der SPD achten beispielsweise auf eine gerechte Geschlechterverteilung, da die Landeslisten alternierend zwischen Mann und Frau aufgestellt werden. [Anm. d. Red.: Seit 2011 gilt bei der Aufstellung der Landeslisten das sogenannte „Reißschlussverfahren“: Beginnend mit dem Spitzenkandidaten oder der Spitzenkandidatin wird immer im Wechsel eine Frau und ein Mann nominiert.]
Diversität in der Politik scheitert vielleicht auch an einem anderen Phänomen. Anfang 2021 kandidierte der gebürtige Syrer Tareq Alaows für Oberhausen und Dinslaken in Nordrhein-Westfalen, um für die Partei Bündnis 90/Die Grünen in den deutschen Bundestag gewählt zu werden. Als er jedoch zahlreiche rassistisch motivierte Drohungen erhielt, zog er seine Kandidatur zurück: Die Lage für sich und sein Umfeld war ihm zu unsicher. Was muss sich in Politik und Gesellschaft ändern, damit sich so etwas nicht wiederholt?
Das ist ein großes Problem. Prinzipiell muss ein Umdenken stattfinden. Ich denke, dass es wichtig ist, politische Bildung in Deutschland zufördern. Gerade in Schulen und Begegnungsstätten muss Demokratie vermittelt werden. Auch die Medienbildung ist wichtig und muss ausgebaut werden, um rechtsextremistischen Hass im Internet zu minimieren.
Die jüngste Person im sachsen-anhaltinischen Landtag seit 2016 ist der 29-jährige Marcus Spiegelberg (AfD). Viele der Leser:innen und Akteur:innen der Jugendredaktion „Mach'n Punkt“ sind zwischen 16 und 27 Jahre alt. Wie kann sich gerade diese junge Generation in die Politik einbringen und sich Gehör verschaffen?
Ich denke, dass sich junge Menschen heute viel mehr mit politischen Themen auseinander setzen und aktiv werden. Ein gutes Beispiel dafür ist Fridays for Future. Oft sind sogar schon die 14,15-Jährigen an den Themen interessiert. Deshalb fordere ich das Wahlrecht auf 16 Jahre herunter zu setzen. Außerdem ist es wichtig, der jungen Generation eine demokratische Plattform anzubieten, auf der ihren Belangen Gehör geschenkt wird.
Herzlichen Dank für das Gespräch und viel Erfolg für die anstehende Bundestagswahl!